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Trüffel, Thermik, Toplanden (29.09. - 03.10.2004)

 

Insgesamt waren wir zu fünft am Monte Cucco (Provinz Perugia). Anke Content und ich, Martin Hoeger, sind bereits am Samstag angereist, die anderen, Kurt Axthammer samt Judith und Carsten Muth kamen erst am Mittwoch Abend, den 29. September an. Die Wetterlage am Samstag war durch eine Kaltfront im hohen Nordwesten und eine Warmfront über dem östlichen Mittelmeer gekennzeichnet. So haben Anke und ich im dichten Regen die Alpen überquert bis uns Italiens Autobahn mit einem munteren: Alt Stacione empfing. Nun klärte der Himmel auf und bereits am Gardasee konnte man einen Cappuccino nur noch im T-Shirt trinken. Nachdem die Po-Ebene durchquert war, kam die Ernüchterung in Form eines Warmfrontausläufers. Nach rund 8 Stunden Reisezeit sind wir bei regnerischem Wetter am Cucco angekommen.

Unser Quartier war eine feine Pension/Hotel im ländlichen Bereich, Agriturismo, mit dem Namen Pian d’Isola und Blick auf den Cucco (Einzelzimmer 35 Euro, mit Frühstück). Am Morgen blies ein klammer Ostwind unter grauem Himmel, der Berg hatte eine Mütze und unsere Stimmung entsprach dem Sinkton eines Varios. So haben wir Assisi angeguckt, die alte Kirche mit der Grabstätte des heiligen Franziskus sowie die neuere Oberkirche mit ihren berühmt Fresken. Schöne Malereinen finden wir auch in den Innenräumen von Geschäften und Hauseingängen. Am nächsten Morgen das gleiche Wetter: Grauer Himmel und starker Nord-Ostwind. Wir sind zum benachbarten Nord-Ost-Start Fluggebiet Tre Pizzi gefahren, rund 1 Stunden hin und noch mal eine halbe Stunde den Berg hoch. Zwischen kleinen runden Bergkuppen haben Wildpferde und Schafe das Gras wie einen grünen Teppich kurzgefressen, wir finden Wiesenchampignons. Es ist klamm, und ab und zu sitzen wir im Wolkennebel. Aus dem Fliegen wird auch heute nichts und wir verabreden uns mit anderen Drachenfliegern für den Abend im Fliegertreff oben auf dem Cucco, einem Refugio (25 Euro mit Frühstück). Dort stoßen wir auf ein bunt gewürfeltes Häuflein Flugbesessener aus Östreich, der Schweiz, Deutschland und den Niederlanden, die hier jedes Jahr Urlaub machen. Weiß’ nich’ sagt einer aus dem Norden, sonst immer 80% Treffer mit dem Wetter um die Zeit. Am Nordstart, erzählen sie, jagt der Wind den Berg hoch, es ist nicht fliegbar und außerdem gibt’s im Nord-Osten keinen offiziellen Landplatz mehr. Der italienische Wirt ist selbst Flieger und er beruhigt uns: Mittwoch geht’s sagt er in gutem Deutsch. Tatsächlich hat dann der Wind nach West gedreht. Der Hauptstartplatz liegt südlich rund 300m unter dem Gipfel an einem breiten Joch an dem bei Westwinden über 20 km/h auch Topgelandet werden kann. Hat dich schon jemand eingewiesen fragt mich ein Holländer nachdem ich ihm erzählt habe das ich das erste Mal am Cucco bin. Wenn du Toplanden willst, erklärt er, musst du mit speed am Hang entlang auf die Mitte des Joches zufliegen wo der Wind am stärksten ist, dann in die Kurve eindrehen und nicht zu langsam, sonst bläst es dich ins Lee. Lieber paar Mal hoch drüber, sagt er, und probieren. Dann soll jemand da sein der den Drachen hält, nach der Landung. Tatsächlich sind die Toplandungen spektakulär: der Anflug erfolgt mit voll durchgezogener Basis. Der Drache kommt dann nach einer Kurve in rund 25m Höhe über dem Joch in der Luft zum stehen, wo er langsam zu Boden sinkt. Später wird nur in einem Fall ein Drache zu weit hinten anfliegen und dabei im Abwind unsanft zu Boden gedrückt werden.

Anke startet am Mittwoch erst als zum schwachen 20er Hangwind Thermik aufkommt. Im Hausbart dreht sie mit ihrem Impuls auf, steigt über einen Vorbuckel und kann so zum Westhang des Cucco rüberfliegen. Abends sind die andern angekommen und wir gehen in Sigillo am Fuß des Cucco in die Fliegerpizzeria. Donnerstag Morgen stehen wir nach gutem Frühstück am Start. Bei einem schwachen 20er Süd-West und bedecktem Himmel zeigen Kurt und Carsten wo die Post abgeht. Bei schwacher Thermik und moderatem Hangwind sind dann bald alle in der Luft, zum Toplanden reicht es allerdings nur für wenige. Der Freitagmorgen bringt schließlich das typische Cuccowetter: ein 30er West weht und als wir gegen 11 Uhr am Start ankommen lassen bereits einige der Drachenpiloten Segelflugmodelle im Jochwind Loopings drehen. Die Profis haben Heringe in den Boden geschlagen um die Drachen zu verankern. Plötzlich reist sich ein Funfex los, steigt auf und kommt in dem vollkommen ruhigen laminaren Hangwind wie von Zauberhand zu stehen. Ratlos steht der Pilot unter seinem in rund 3m Höhe über ihm schwebenden abtrünnigen Fluggerät, das nach einigen bangen Sekunden langsam die Nase hebt, dann vorne wie ein Spatz durchsackt und schließlich kurz über dem Boden wieder abfängt. Mit einem Hechtsprung wird der Fex eingefangen und angeleint. Der erste Anfänger startet mit riesigen Schritten und wild schlagendem Segel. Dann reißt es sein Gerät mit kreischendem Vario in die Luft. Kurt hat eine verfeinerte Starttechnik entwickelt: Es sieht aus, als horche er hin wie seinen Drachen auf den Wind reagiert und nach einigen Tippelschritten streicht der Laminar ruhig hinaus und hebt sich im Aufwindband sanft über die Ebene zwischen dem Cucco und Assisi. Bald fliegen alle über dem Gipfel oder soaren am Hang entlang um Top zu landen und wenig später wieder Abzuheben. Einer der Holländer steht mit seinem Moyes wie ein Falke direkt über dem Gipfel ohne sich von der Stelle zu bewegen. Als wir uns abends auf den Heimweg machen wollen, ist er immer noch an der gleichen Stelle, vielleicht ist er eingeschlafen, denke ich, oder er meditiert über den Tulpenhandel und Käselieferungen.

Um 19 Uhr erreichen wir den Landeplatz. Anke ist gerade wie ein Adler gelandet und auch der Holländer kommt eingeschwebt, ein bisschen verfroren, mit blauer Nase wie ein Kind das zu lange im Schwimmbecken war und voller Begeisterung. Wir haben Anfang Oktober, sagt er, und sind heute 8 Stunden in der Luft gewesen! Ein italienischer Pilot kommt noch hinzu und fragt: ’how muche windspeede on te tope‘? Wir sagen 30 km/h und er bestätigt 20 bis 40 km/h sei normal und kündigt uns gute Flugbedingungen für den morgigen Samstag an. Zum Abendessen beschließen wir nach Gubbio zu fahren, einem Städtchen in 30 km Entfernung, das nur aus Klöstern, Kirchen und Palästen zu bestehen scheint und auch ein Amphi Theater hat. In einem nahe gelegenen Haus mit Fundamenten aus der Römerzeit findet man antike Mosaiken und alte Keramik ausgestellt. Nach kurzer Suche stoßen wir auf ein nüchternes Lokal, das gute Preise und feine Küche verspricht. Die ganze Region ist im Trüffelfieber und so erleben wir noch eine Art Thermik über einem dampfenden Teller mit Tagiatelle con Trufato, also Nudel mit Trüffeln, dazu roter Wein aus Umbrien.

Samstagmorgen liegen die Wolken tief. Wir sitzen auf der Terrasse und gucken auf den Berg, der zur Hälfte in den Wolken steckt. Carsten hat seinen Laptop ausgepackt und lädt die Flüge vom GPS in den PC. In der 3D Ansicht zeigt Kurts Flug horizontale Kreise, wo er aufgedreht hat und eine Talquerung fast bis nach Gubbio rüber, nahezu ohne Sinken. Bei Carstens bietet sich ein anderes Bild: Dort wo er im starken Aufwind am Starthang einige wingover geflogen ist, liegen die Kreise fast senkrecht. Dann ist er an der Flanke des Cucco Gebietes entlang geflogen. Wo leichte thermische Ablösungen den Hangwind verstärkt haben ist in der 3D Computerdarstellung deutlich an der ansteigenden Flugbahn auszumachen. Um 13 Uhr ist unser Berg immer noch in den Wolken und wir beschließen ohne Fluggeräte nach Castellucio zu fahren. Nach rund 2,5 Stunden kurviger Landstraße erreichen wir einen weiten kargen Talkessel, der an Schottland erinnert und der jeden sofort in seinen Bann zieht. In der Mitte des Kessels liegt auf einem kleinen Hügel Castelluccio, ringsum Bergflanken, die teils schon schneebedeckt sind. An einem Vorbuckel ist der Boden übersäht mit Champignons und es soaren 3 Gleitschirme. Als die Wolken kurz aufreisen finden sie sogar etwas Thermik und steigen auf ca. 300m. Hatte der Italiener nicht gestern gesagt es würde heute noch ein guter Flugtag? Um 21 Uhr sind wir zurück am Cucco, essen gemeinsam zu Abend und lassen die Flugtage ausklingen nicht ohne 3 Flaschen des Weines der Region zu degustieren, und dabei über kommende Ausflüge nachzudenken.

Zusammenfassend hat sich der Ausflug fliegerisch gelohnt und war gut organisiert. Hervorgehoben werden muss die Gastfreundschaft der italienischen Piloten und das gute Miteinander aller am Cucco in der Luft wie am Boden. Die Tour ist insbesondere auch für Familien geeignet, die gerne Bergwandern, Biken, Pilze suchen, Höhlen erkunden und durch alte Gemäuer streifen. Es gibt auch einen Campingplatz für weniger betuchte. Mit der Familie gegroundet sein ist am Cucco erträglicher als anderswo.

Martin


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